INTERVIEW MIT MAURO VON SIEBENTHAL, PRODUZENT IN CHILE

WEINERNTE 2020: EIN UNVERGESSLICHER JAHRGANG

Der Rechtsanwalt aus Locarno zog vor zwölf Jahren nach Südamerika, um sein 1998 begonnenes innovatives Projekt persönlich zu verfolgen.

Die erste Frage ist ein Muss: Wie ist die Weinlese 2020 verlaufen?

Normalerweise ernten wir im Aconcagua-Tal in den Monaten April und Mai und manchmal sogar in der ersten Juniwoche. In diesem Jahr hatten wir 150 Tage ununterbrochenen Sonnenschein und Durchschnittstemperaturen von 30°C.
Die Trauben waren Mitte März reif, einen Monat zu früh und mitten in einer Coronavirus-Krise.
Wir haben also unter einer Wolke der Sorge geerntet. Glücklicherweise ist niemand erkrankt und die Qualität ist sehr gut.

Mehr als zwanzig Jahre in Chile: Kann man da eine Bilanz ziehen?
Nun, ich könnte ein Buch schreiben, mit vielen Kapiteln.
Wenn Sie Lust haben, Extrembergsteigen auszuprobieren, ohne in die Berge zu gehen, können Sie versuchen, ein Weingut von Grund auf neu zu gründen: Es mangelt weder an Aufregung noch an Absturzgefahr. Es war wirklich sehr schwierig, obwohl wir heute, nach Jahren des Kletterns an senkrechten Wänden, ohne Beinkrämpfe gehen können...

Vermissen Sie das Tessin? Und Ihren alten Beruf?
Ich habe immer das Glück gehabt, Tätigkeiten auszuüben die ich liebe, und das gilt auch für meinen früheren Beruf als Anwalt. Ins Büro oder vor Gericht zu gehen, Kunden zu empfangen, sich neuen Problemen zu stellen, war für mich immer etwas ganz Natürliches, eine zweite Haut, wie sie jetzt die eines Weinproduzenten ist. Es sind verschiedene Welten, aber glauben Sie mir, in Chile gibt es genug Bürokratie, um die Schweizer Gesetze nicht zu vermissen...
Am Tessin bin ich so tief verwurzelt, dass ich immer das Gefühl habe zu diesem Land zu gehören. Natürlich vermisse ich meine Freunde, meine Cousins und Cousinen, die kleinen Rituale von Locarno, wie zum Beispiel einen Kaffee in der Piazza zu trinken oder mit meinen Kollegen in der Altstadt «Cittadella» Mittag zu essen, und es stimmt, dass ich gerne öfter wiederkommen würde, aber glücklicherweise mangelt es nicht an Verpflichtungen: neben den nationalen Sachen, muss ich zusammen mit meinem Sohn Matteo, sechzehn weitere Märkten in der ganzen Welt folgen. Es ist eine faszinierende Erfahrung, wir entdecken immer wieder andere und weit entfernte Orte: wie Taiwan, Macao, Hongkong, China mit seinen sehr modernen und riesigen Städten, die Vereinigten Staaten, Mittel- und Südamerika, aber so läuft der Kalender schnell und in den letzten sechs Jahren konnte ich nicht mehr in die Schweiz zurückkehren. Haben Sie bemerkt, dass ich "Rückkehr" gesagt habe? Denn die Schweiz ist einzigartig und für mich ein unauflösbares Bündnis, auch wenn ich für tausend Jahre woanders gelebt hätte. Genau weil ich das "Elend der Welt" gesehen habe, kann ich das Niveau der Zivilisation, Demokratie und Freiheit dieser kleinen Nation im Zentrum Europas schätzen.

Zurück nach Chile. Wenn Sie Viña von Siebenthal in zwei Zeilen definieren müssten, was würden Sie sagen?
Ein Familienbetrieb mit 30 Hektar Anbaufläche. Sechs Rotweine und ein Weißwein, Weine, die das Terroir zum Ausdruck bringen, konzentriert, klassisch und für die Lagerung geeignet. In der Tat ein "Premium"-Boutique-Weingut, wie es nur wenige in ganz Südamerika gibt.

Was ist das Beste an Ihrer Arbeit?
Das Anlegen eines Weinbergs bereitet mir große Freude. Es ist meine Art, mich mit der Erde zu verbinden. Die Rebe ist ein edles und großzügiges Geschöpf. Sie repräsentiert den mediterranen Teil meiner mütterlichen Wurzeln.Italien Die, die lateinische Welt, die etruskische Welt und die des antiken Griechenlands. Das Herz der westlichen Zivilisation. Den Wein zu lieben bedeutet auch, sich an seine Wurzeln zu erinnern. Natürlich ist auch die Weinlese erstaunlich: Jedes Jahr schließt sich ein Zyklus und eröffnet gleichzeitig einen neuen. In einer "flüssigen" und vage "substanzlosen" Welt ist die Weinlese und der Zyklus der Zeit, den sie darstellt, etwas ungeheuer "Festes".

Im Jahr 2004 gewann der "Montelig" die Trophäe "Best wine in show" des Brüsseler Weltwettbewerbs unter mehr als 5000 verkosteten Weinen. Im Jahr 2009 war "Tatay de Cristobal" der erste chilenische Wein, der von R. Parker mit einem Stern bewertet wurde (97 Punkte) und sich mit einem Wert von 200 USD pro Flascheauf dem Markt positionieren konnte - bis dahin eine undenkbare Grenze für ein chilenisches Etikett.Carabantes" und "Parcela 7" werden in Vivino regelmäßig als "Top-Weine" erwähnt. Was sind die Merkmale, die diese Weine berühmt machen?
Ich habe meinen ersten chilenischen Wein vor über 30 Jahren in Locarno probiert. Ich erkannte das Potenzial eines Landes, das damals nur für seine zugänglichen und trinkbaren Weine bekannt war. Wenn ich an die widrigen Wetterbedingungen des Weinbaus in Europa denke, ist die Natur in Chile nicht nur ideal für Reben, sondern für alle Früchte wie Pfirsiche, Aprikosen, Äpfel, Birnen, Kiwis, Kirschen, Papayas, Zitrusfrüchte, Avocados, Walnüsse, Haselnüsse (fragen Sie die Ferreros, warum sie mehr als 4000 Hektar in Produktion haben). Toknar, Montelig, Tatay de Cristobal und Parcela 7 haben alle ihren Ursprung in schwer zu bewirtschaftenden Böden. Einige sind kolluvial, aus scharfem Granitgestein. Andere sind vulkanischen Ursprungs und wurden von Gletschern und der Strömung des Aconcagua-Flusses bearbeitet. Wieder andere sind Sedimentböden aus Mineralien oder organischem Material (Torf). Sie alle spiegeln sich in den verschiedenen Weinen wider. Es ist die Magie der Natur, die immer schwer zu erklären ist.

Was sind Ihre Zukunftspläne?
Ich vertraue auf die Wissenschaft und die Mittel, die sie uns sicherlich anbieten wird, um die Pandemie zu überwinden.
Und dann, so schnell wie möglich, als Familie, mit Freunden, Kunden und Mitarbeitern an einem großen Tisch zusammenkommen, ein Glas Wein trinken und die Gefühle feiern, die uns zu Menschen machen.

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